Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, aber leider reden. Die Römerfraktion zum Mietentscheid.
Bildrechte: Sandra Pappe, www.sandrapappe.de
Sie seien zum Reden bereit, tönte es gleich zu Anfang der Podiumsdiskussion „Wohnungsnot in Frankfurt“ aus den Reihen der eingeladenen Lokalpolitik. Was sich Volksvertreter*innen in Frankfurt unter „miteinander reden“ vorstellen, konnte man im Haus am Dom am eigenen Leib erfahren. Zum Leidwesen der für die Position der Römerfraktion eingeladenen Redner*innen wurden ihre mühevoll vorbereiteten Monologe immer wieder von lästigen Fragen und Redebeiträgen des Publikums unterbrochen. Auch die unpassenderweise auf dem Podium platzierten Sprecher*innen des Mietentscheid wollten sich einfach nicht aufs Zuhören beschränken.
Wäre die Diskussion ein Ringkampf gewesen, hätte der Mietentscheid Frankfurt klar und ohne Abzug den Punktsieg davon getragen. Ruhig, sachlich und souverän widerlegten die Mietaktivist*innen Alexis Passadakis und Lisa Hahn die von der Gegenseite vorgebrachten Thesen. Auch bei der Beantwortung der Fragen aus dem Publikum, das bezüglich des politischen Sachverstandes, Hintergrundwissens und nicht zuletzt Grundrechnens klar die Nase vorn hatte, machte die Lokalpolitik eine schlechte Figur. Obwohl die Diskussionsverweigerer*innen von CDU, SPD und den Grünen bis zum bitteren Ende stur an ihrer Taktik festhielten, Fragen und Gegenargumente zu ignorieren, wirkte dieses Beharren auf ihren Positionen zunehmend verzweifelt.
ABG Frankfurt Holding und „andere private Unternehmen“
Im Lauf des Abends spulten die Gäst*innen aus der Politik routiniert sämtliche Varianten manipulativer Rhetorik ab. Der Vertreter der CDU griff auf eine Variante der „Herrschaftssprache“zurück, um den Zuhörenden zu vermitteln, dass sie zu klein und zu dumm seien, die Zusammenhänge zu verstehen und die Politik deshalb mal lieber den Experten überlassen sollten. Seine Taktik, das Publikum mit langatmigen, inhaltslosen Geschwafel in die Bewusstlosigkeit zu quatschen, sorgte allerdings nur dafür, dass dieses mit wachsender Ungeduld auf das Ende der Litanei drängte. Leider ging in der durch das öde Gerede ausgelösten Saalflucht das einzige Bonmot seiner Ausführungen unter: Der freud’sche Versprecher, mit dem er im Zusammenhang mit der ABG Frankfurt Holding auf „andere private Unternehmen“ verwies.
„Ich möchte lieber über etwas anderes reden“
Der Herr von der SPD dagegen startete gleich mit dem Vorschlag, das angekündigte Diskussionsthema entfallen zu lassen und lieber über etwas anderes zu reden. Mehrfach musste der Moderator nachhaken, bis der Stadtpolitiker endlich auf die Frage einging, ob die AGB sich, wie von den Mietaktivisten gefordert, zu hundert Prozent der Schaffung und Erhaltung bezahlbaren Wohnraums widmen solle. (Antwort SPD/CDU/Grüne einhellig: Nein.)
Dabei stieß das vom Vertreter der SPD zunächst ersatzweise angeregte Diskussionsthema „Leerstand nutzen statt Neubau“ bei den Aktivist*innen des Mietentscheid und beim Publikum durchaus auf offene Ohren. Alexis Passadakis verwies darauf, dass dies zwar nicht in den rechtlichen Rahmen eines kommunalpolitischen Bürgerbegehrens falle und damit nicht Thema des Abends sei; die Stadtpolitik könne ja aber gerne auch unabhängig vom Ausgang des Mietentscheids sinnvoll aktiv werden. Auch Zuschauer forderten „Handeln statt reden“.
Eigenlob stinkt
Die Sprecherin der Grünen, die ich einen beträchtlichen Teil der Veranstaltung mit einer weiteren Rednerin der CDU verwechselte, da ich die Vorstellungsrunde verpasst hatte, setzte dagegen auf die Taktik, sich den „Erfolg“ der Stadtplanungspolitik einfach mal herbeizureden. Ein Schlag ins Wasser: Allein die Erwähnung des Namens „Cunitz“ sorgte für lautstarken Unmut aus dem Publikum, gefolgt von Hohngelächter, als die von der Reaktion sichtlich überrumpelte Politikerin ein zweites Mal zur Ehrenrettung des Parteikollegen ansetzte. Auch das Lob für die von der ABG unternommenen Instandhaltungsarbeiten ging nach hinten los. Dies sei ja wohl die gesetzliche Pflicht eines Vermieters und damit nicht erwähnenswert, empörte sich ein Zuschauer.
Letzter rhetorischer Ausweg: Bangemacherei
Angesichts des Scheiterns der vorangegangenen rhetorischen Manöver blieb dann nur noch die Bangemacherei. Der derzeitige wohnungspolitische Sprecher der SPD-Römerfraktion warnte zunächst noch etwas unklar vor „enttäuschten Hoffnungen“ infolge eines siegreichen Mietentscheids. Nach und nach entwickelte er dazu ein abenteuerliches Szenario um einen fiktiven Postboten mit 2.000 Euro Brutto Monatseinkommen, der dann ja rechnerisch keinen Anspruch auf eine ABG-Wohnung mehr habe. Obwohl ihm Alexis Passadakis mitteilte, dass dies nicht relevant, da im Mietentscheid bereits berücksichtigt sei und ihm gleich mehrere Zuhörer*innen Fehler in der Berechnung nachwiesen, fixierte der Herr von der SPD sich verzweifelt auf sein Postboten-Beispiel und sorgte damit für den Running Gag des Abends.
Interessanter als der für das eigentliche Thema irrelevante Streit ums korrekte Kopfrechnen ist dabei aber die Frage: Von welchem Postboten mit Beamtengehalt spricht der gute Mann von der SPD? Ich habe vor zehn Jahren den letzten gesehen. Für die Subunternehmer, von denen ich meine Post zugestellt bekomme, wären 2.000 Euro brutto ein Traum. Wenn die SPD sich auf ausgestorbene Berufszweige als Zielgruppe versteift, steht bald der Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde an.
CDU und Grüne malten sich dagegen bildreich Horrorszenarien heruntergekommener Mietwohnungen für den Fall aus, dass die durch 100%ige Sozialbauverpflichtung verarmte ABG die Instandhaltungskosten nicht mehr aufbringen könne. Obwohl die vom Mietentscheid vorgelegten Zahlen diese durch nichts belegte und ausgesprochen unglaubwürdige Darstellung ins Reich der Schauermärchen verwiesen, klammerten die Parteivertreter*innen weiterhin daran wie an einen Rettungsring.
Mit vielen Worten nichts sagen: Die drängenden Fragen bleiben offen
Gegen den Widerstand der Gäst*innen aus der Politik bestand der Moderator, Claus-Jürgen Göpfert von der Frankfurter Rundschau, hartnäckig darauf, Fragen zu den Forderungen des Mietentscheids zu stellen. Göpfert hakte immer wieder nach und achtete darauf, auch die Sprecher*innen des Mietentscheid sowie das Publikum ab und zu zu Wort kommen zu lassen. Trotzdem blieben, wie die vielen vergeblich hochgereckten Arme im Zuschauerraum belegten, viele Fragen offen.
Etwa die, warum die Stadt Frankfurt bei all dem Lamento um zu viel Leerstand eifrig weiter für den Leerstand baut, Stichwort Luxusimmobilien. Oder warum eine Vertreterin der Grünen beim Stichwort Klima nur auf den uralten Hut „Effektives Dämmen“ zu sprechen kommt, die in der Klimakatastrophe aber wesentlich dringlichere Thematik der Bodenversiegelung durch Neubauprojekte ignoriert. Oder wie sonst ist das auffällige Schweigen zur Anti-Leerstands-Idee des Kollegen von der SPD zu deuten? Pikantes Detail dazu: Experten verweisen seit Jahren vergeblich auf die im Zuge des Dämmungs-Hypes zunehmenden Bauschäden.Wenn die Instandhaltung, wie bei vielen Projekten in Frankfurt leider zu beobachten, im Aufbringen dichter Plastikverschalungen besteht, trägt sie im Gegenteil dazu bei, Bestandsbauten nachhaltig bis zur Abrissreife zu schädigen.
Ebenfalls nicht zur Sprache kam die Frage, warum es denn ausgerechnet für die AGB in Frankfurt nicht möglich sein soll, ausschließlich im Sektor bezahlbares Wohnen zu arbeiten: Andere Städte bekommen es doch auch hin. So bleiben nur Vermutungen: Zerfallen Bauwerke in der Frankfurter Luft schneller? Ist unter Frankfurter Mietern der Anteil an Vandalen außergewöhnlich hoch? Oder vielleicht ist Herr Junker ja auch einfach schlecht im Wirtschaften? Und wenn ja, sollte er dann nicht besser von einer Aufgabe entbunden werden, die ihn überfordert?
Das neue Frankfurt unter Ernst May war für seine herausragende Wohnungspolitik international berühmt. Auch zu diesem naheliegenden Vorbild wollten sich die Herren und Damen aus der Politik trotz wiederholtem Fragen lieber nicht äußern: Allein der Herr von der SPD stotterte wirr am Thema vorbei etwas über „doch nicht so tolle Zeiten“ (???) und kam dann lieber schnell auf eigene Themenvorschläge zurück.
Lachnummer oder Trauerspiel?
Politiker*innen, die sich von einer Bürgerbewegung den Unterschied von Bundes- und Kommunalpolitik erklären lassen müssen, bei der fachlichen Kompetenz in den von seiner/ihrer Partei propagierten Themen schwächeln, den Bezug zum Alltagsleben der Bevölkerung verloren haben, ohne sich dessen bewusst zu sein und trotz Rechenschwäche ausgerechnet mit Mathematikbeispielen punkten wollen – wäre die Lage nicht so ernst, käme man aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Tatsächlich sorgte die missglückte Rhetorik und Selbstverliebtheit der auf dem Podium vertretenen Lokalpolitik wiederholt für Heiterkeit im Publikum. Nicht wenige Anwesende konnten allerdings nicht darüber lachen. Etwa diejenigen, die in Notunterkünften, Hotels oder ganz ohne Obdach vergeblich darauf warten, dass die Stadt Frankfurt endlich etwas unternimmt, das Menschenrecht auf Wohnung umzusetzen. Nicht einmal die abschließenden Redebeiträge aus dem Publikum zur bitteren Lage der Wohnungslosen konnten die Vertreter*innen von CDU, SPD und Grünen von der Geschmacklosigkeit abhalten, ihre letzte Redemöglichkeit ungerührt für eine Parteirede zu missbrauchen.
CDU? SPD? Kochmann, Pauliwer? Egal.
Schon seit längerem fällt es mir schwer, mir die Gesichter und Namen austauschbarer Angestellter des politischen Betriebs zu merken, die sich insgeheim ohnehin nur noch als Interessensvertreter*innen der Wirtschaft wahrnehmen. Wozu auch? Über alle drei auf dem Podium vertretenen Parteien hinweg lautet die gemeinsame Kernaussage der Verfechter*innen der Stadtpolitik: „Die AGB (und auch die privaten Investoren) sollen so weiter machen wie bisher, wir mischen uns nicht ein.“ Damit haben sie sich selbst als bedeutungslos erklärt – diese Namen muss sich niemand merken.
FR zur Podiumsdiskussion am 27.08.2019
FR: Frankfurt Wohnungskrise, Zwangsräumungen werden immer häufiger