Orientierungslos, dafür stur: Das Frankfurter Betonkopfkabinett plant die Zukunft der Städtischen Bühnen.
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Nachdem die Coronakrise den ehrgeizigen Fitzcarraldophantasien für einen Neubau des Frankfurter Schauspiels eine Absage erteilt hat, erleidet die umstrittene Planung der Stadt nun die nächste Schlappe. Das Lankesdenkmalamt bestätigt in einem Gutachten die Denkmalschutzwürde des Foyers und läutet eine neue Runde ein: Ring frei für das Frankfurter Betonkopfkabinett. Ein Schritt vor, zwei Schritt’ zurück, orientierungslos im Stolperschritt taumeln die politischen „Entscheidungsträger“ der Stadt in Richtung – ja, wohin eigentlich? In Richtung Zukunft, wie die Betitelung der „Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen“ suggerieren will, jedenfalls nicht.
Hauptsache Abreissen!
Die Corona-Schutzmaßnahmen stellen das bisher gepflegte Veranstaltungswesen weltweit langfristig in Frage. Ende März beschloss die Stadt Frankfurt, die Investitionen für die Städtischen Bühnen vorerst auf Eis zu legen. Obwohl ohne das damit entfallene klare Planungsziel kein entsprechender Handlungsbedarf mehr vorliegt, hält die Stabsstelle dennoch stur an den Abrissplänen fest. Deutlicher hätte die Stadt gar nicht offenbaren können, dass der Abriss der Städtischen Bühnen längst beschlossene Sache, wenn nicht gar das eigentliche Ziel des fragwürdigen Gutachtenverfahrens von Herr Guntersdorf, Leiter der Stabsstelle zur Zukunft der Städtischen Bühnen, war.
Bereits vorher fragte man sich, warum für das Gutachten, das dann auch den Ausschlag für den Abrissbeschluss gab, ein Stadtplaner angestellt wurde, der seine Abneigung gegen die „Kiste“, die „weg müsse“ so offen und häufig postuliert wie sein Missfallen an der spätmodernen Gestaltung des Bühnengebäudes. Bei den Rekonstruktionsfreunden, die Herr Guntersdorf von seiner Tätigkeit als Leiter der DomRömer AG vertraut sind, macht er sich mit dieser Abwertung des Baudenkmals, um dessen Sanierung es eigentlich ursprünglich mal gehen sollte, auf jeden Fall beliebt.
Der ohnehin subjektive Vorwurf Otto Apels Theaterbau sei „nicht schön“, ist offensichtlich ein vorgeschobenes Kriterium. Das Baudenkmal erinnert nicht nur an den demokratischen Neuaufang nach dem Ende der NS-Diktatur sondern eben auch an jenes Merkmal der Moderne, das Rechtskonservativen und -extremistInnen immer der wirkliche Dorn im Auge war: Das Versprechen, auch dem Teil der Bevölkerung etwas zu gönnen, denen in der vormodernen Feudalgesellschaft nichts gegönnt wurde und in der neoliberalen Leistungsgesellschaft erneut nichts gegönnt wird. Die Kritik an den Gestaltungsformen der Moderne dient allzu oft nur als Deckmantel für den Hass auf den zivilisatorischen Fortschritt, den diese mit der In-Frage-Stellung der kaiserzeitlichen Gesellschaftsordnung vollzogen hat.
Es ist nicht verwunderlich, dass die Gewinner einer expansionistischen Wirtschaftspolitik, die Glücksrittertum und Wirtschaftskriminalität als „Erfolg“ glorifiziert, in das selbe Horn blasen und das bauliche Symbol eines „Theaters für Alle“ gar nicht schnell genug durch ein besser zu ihrem Investorenstandort passendes Prestigeprojekt ersetzen können. Erst einmal mit dem Abriss vollendete Tatsachen schaffen – diesem in Frankfurt alt bewährten Vorgehen hat das Denkmalamt nun vorerst einen Riegel vorgeschoben.
Die Rechnung ohne das Denkmalamt gemacht
Nach dem Gutachten vom 17. April 2020 reduziert sich die den städtischen Bühnen zuletzt von Planungsdezernent Mike Josef abgesprochene Denkmalwürde auf die bisher ausgebliebene Eintragung in der Denkmalliste, die aber laut § 11 des Hessischen Denkmalschutzgesetzes ohnehin nur formelle Bedeutung hat. Hätte sich die Stadt an den gesetzlich vorgegebenen Weg gehalten, wäre es dem Denkmalschutzamt schon früher möglich gewesenen, die städtischen VolksvertreterInnen über ihre Wissensmängel aufzuklären. Das hätte der Öffentlichkeit auch viel Geld für eine substanzlose Schnellschuss-Planung und sinnlose Gutachten erspart.
Stattdessen wurde das Denkmalamt vorsorglich gar nicht erst in das Verfahren eingebunden, sondern bekam nur im Nachgang mitgeteilt, dass das dafür gar nicht zuständige Stadtparlament die Städtischen Bühnen nicht als Denkmal einschätze. Auch die Beantragung einer nach § 18 des Hessischen Denkmalschutzgesetz erforderlichen Abrissgenehmigung hielt die Stadt nicht für nötig und umging damit die Abwägung denkmalpflegerischer und öffentlicher Belange.
So sind die von Landeskonservator Heinz Wionski geäußerten Hinweise auf ein von ihm zukünftig gewünschtes „konstruktives Miteinander“ und das gemeinsame Entwickeln weiterer Schritte auch als ironischer Kommentar auf die selbstherrliche Entmündigung demokratischer Instanzen zu verstehen. Ob Wionskis dezenter Wink mit dem Zaunpfahl einen offenen Diskurs auf Augenhöhe zu Folge hat, ist angesichts der bisher ausgiebig demonstrierten Kritikunfähigkeit der Zuständigen wenig wahrscheinlich.
Wozu Argumente? Autokraten-Demagogik aus der Mottenkiste
So hatte erst kurz zuvor Michael Guntersdorf ein Beispiel für die Arroganz geliefert, mit der die Stadt Frankfurt unerwünschte fachliche Kritik beiseite fegt, in dem er die Glasfassade der Bühnen als Zufallsprodukt ohne künstlerische Aussage abzuwerten versuchte.
Mit dieser geradezu lachhaften Negierung der zum Berufsbild der Architektur gehörenden Planungsmethodik diffamiert Guntersdorf ungeniert den eigenen Berufsstand. Dies ist nur im Rahmen genau der scheinheiligen Dummstellerei verständlich, die vor allem in rechten Kreisen gut ankommt, weil sie einer der Grundpfeiler rechtspopulistischer Propaganda ist. Mit nichts kann man sich den Beifall der von der Leistungsgesellschaft Abgehängten besser sichern, als mit einer Bestätigung des Bildungsneids auf die studierten „Besserwisser“.
Guntersdorfs polemische Ausfälle offenbaren die Unglaubwürdigkeit seiner nach außen postulierten Einschätzung beruflicher Expertise. Warum auf fachliche Argumente eingehen, wenn man Gegnern der eigenen Meinung einfach die Befähigung zum Mitreden absprechen kann? Kompetenz wird bei Guntersdorf nicht an Ausbildung, Berufspraxis oder professionellem Status bemessen, sondern ausschließlich daran, ob man seine persönlichen Vorlieben teilt oder nicht. Wer Guntersdorf kritisiert, hat eben keine Ahnung, so einfach ist das.
Die Autokraten-Demagogik aus der Mottenkiste des 20. Jahrhunderts hat in Frankfurt Schule gemacht. In dem dadurch erzeugten Klima hat ein sachlicher, konstruktiver Diskurs keine Chance.
So zeugt der Vorschlag, die durch einen Abriss des Foyers heimatlos werdenden „Goldwolken“ einfach woanders aufzustellen, von derselben Ignoranz. Da die Skulptur nun einmal bewusst als Bestandteil eines Gesamtkunstwerks konzipiert ist, degradiert eine Trennung die Skulptur zum seines Kontexts beraubten Dekorationsobjekt und entwertet dessen künstlerische Aussage. Die damit verbundene Geringschätzung des Künstlers passt einer Stadtplanungspolitik gut in den Kram, die lebendige Erinnerungskultur Stück für Stück durch historisch anmutende Surrogate ersetzt.
Gefährliches Spiel mit dem Feuer
Frankfurts Stadtverordnete spielen ein gefährliches Spiel. Die arrogante Selbstherrlichkeit, mit der das Stadtparlament über jede Kritik hinweg regiert und einen konstruktiven Diskurs verweigert, verstärkt das Ohnmachtsgefühl in der Bürgerschaft und bietet Verschwörungstheoretikern den idealen Nährboden. Gerade eben noch hat die Stadt die Schreihälse aus dem rechten Lager mit dem Bonbon des Altstadt-Surrogats ruhig gestellt, schon stehen sie wieder auf der Straße und fantasieren einen heimlichen Bevölkerungsaustausch herbei. Ausgerechnet jetzt, wo die Coronaschutzmaßnahmen die Situation verschärfen, gießt die Betonköpfigkeit des Stadtparlaments Öl ins Feuer.
Wir brauchen eine Stadt für Alle
Die Pandemie ist ein Warnsignal, ein letzter Schuss vor den Bug, der uns noch einmal vor Augen führt, dass wir uns ein „Weiter so“ nicht mehr leisten können. Kein „Weiter So“ für eine Politik, die populistische Zugeständnisse an einen von Hetzern herbeigeredeten „Willen“ der Bürger macht, um diesen nicht geben zu müssen, was sie tatsächlich brauchen. Wir benötigen weder überteuerte Repräsentationspaläste für Investoren und Möchtegern-Großbürger noch pseudohistorische Knipskulissen für die ewig Gestrigen.
Wir brauchen eine Stadt für Alle. Wir brauchen offene, allen zugängliche Räume, die eine progressive Kulturszene ermöglichen. Wir brauchen Anregung zum kritischen Denken und kulturelle Vielfalt, das Gegengift zu demokratiegefährdender Bildungs- und Wissenschaftsferne. Mit den städtischen Bühnen haben wir einen solchen Raum bereits. Wir müssen nur aufpassen, dass er uns im Frankfurter Geschachere um politische Gefälligkeiten nicht verloren geht.
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