Screenshot Vortrag Behnisch Architekten
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Wie sieht visionäre Stadtplanung aus? Spektakulär verformte, fantastische Panoramen wie man sie aus Computerspielen kennt? Oder sind für die Stadt der Zukunft andere, weniger formale Aspekte entscheidend? Die Pandemie war für Viele ein Anlass zur Selbstreflektion. Krisen seien Katalysatoren für Kreativität und gesellschaftliche Fragen, resümierte u. a. das Schweizer Büro Holzer Kobler. Man solle die Pandemie als Chance zum Umdenken sehen, riet auch Stephan Behnisch.
Who and what are we planning for?
Corona habe nichts verändert, sondern nur Entwicklungen beschleunigt, die bereits vorher da gewesen seien. Am Beispiel einer Stadtentwicklungsplanung für einen neuen Stadtteil von Toronto plädierte Stephan Behnisch für ein Hinterfragen von Ausrichtung und Vorgaben. Die Stadtplanung sei noch zu normiert, müsse lockerer und flexibler werden, da es noch nicht klar sei, was uns in fünfzehn Jahren erwarte. Um für kommende Generationen zu planen, sei eine detaillierte Analyse und Erforschung der Stadtkultur, Lebensumstände und Bedürfnisse nötig. Sonst laufe man Gefahr, Tatsachen zu schaffen,die nicht auf neue Lebensumstände und Gesellschaften reagieren könnten. Jedes in der Straße verlegte Rohr sei eine infrastrukturelle Entscheidung, die 100 Jahre Bestand habe.
Beim Städtebau gehe es um Wandlungsprozesse, betonte Lars Krückeberg von Graft, Berlin. „Ein Städtebau, der von einem Architekten von vorneherein fertig gedacht wird, kann nicht funktionieren“. Graft wolle „für die Menschen“ bauen. Die urbane Zukunft müsse nachhaltig sein. Dies schaffe man durch ein gesundes Environment, eine gute Mischung von Gebautem und Leerem, Grün und Architektur.
Bei dem vom niederländischen Büro MVRDV geplanten Stadtteil Ilot Queyries bei Bordeaux entspricht die Diversität der parametrischen Architektur der Diversität von Nutzung und Bewohnerschaft. Jan Knicker, der in seinem Vortrag gleich mehrere Beispiele nachhaltiger Stadtplanung präsentierte, verwies mehrfach auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. MVRDV habe dazu ein Toolkit entwickelt. Geplant sei, innerhalb der nächsten fünf Jahre so weit zu kommen, dies bei allen Projekten zu 100 % umsetzen zu können. Sich ausschließlich an diesen 17 Zielen zu orientieren führe allerdings zu Green Washing, warnte Jan Knicker.
Visionär ist nicht zwangsläufig fortschrittlich
Die Architekten des Berliner Büros L-A-V-A, die ihre Eigenwahrnehmung als Visionäre im Firmennamen festgeschrieben haben, präsentierten sich unter dem Titel „Nature meets Technology“. Bei wenigen Vortragenden stand das Eigenmarketing in so starkem Kontrast zur inhaltlichen Ausrichtung der Projekte wie beim LABORATORY FOR VISIONARY ARCHITECTURE, ließen Schlagworte wie Nutzerorientierung, Nachhaltigkeit oder Symbiose von Natur und Technik so fragwürdige Auslegungen zu.
Etwa bei dem zu Beginn des Vortrags vom präsentierten Ski-Ressort in Abu Dhabi. Auch wenn dieses durch den Einsatz energieeffizienter Technologien vielleicht weniger Ressourcen verschwendet, als ein gleichförmiges in konventioneller Architektur errichtetes Projekt, ist eine für Saudi Arabiens Eliten in der Wüste errichtete Skihalle selbstverständlich genauso wenig nachhaltig wie ein Kreuzfahrtschiff, das Plastikstrohhalme an Bord verbietet. Der vorgetragene Bezug auf Gewächshäuser des 19. Jahrhunderts ist völlig unpassend – diese erzeugten weder Ressourcenverschwendung noch Umweltschäden und dienten zumindest teilweise dem nützlichen Zweck der Nahrungsmittelproduktion.
Effizient geplante Lichtverschmutzung
Angesichts der globalen Lichtverschmutzung fragwürdig ist auch das „effiziente“ Beleuchtungskonzept für einen Platz, der die asiatische Tradition des Nachtmarkts aufgreift. Sollten Visionäre nicht hinterfragen, ob solche Bräuche noch zeitgemäß sind und im Diskurs mit dem Auftraggeber dazu beitragen, neue MEME zu etablieren? Vor allem, wenn sie sich, wie kurz vorher stolz behauptet, ihre Projekte auch mal selbst schaffen und vor Auseinandersetzungen nicht zurückscheuen. Dies wäre allerdings vermutlich gerade in diesem Fall nicht im Sinn großer Herstellerkonzerne für Lichtsysteme, mit denen L-A-V-A zusammenarbeitet.
Ein weiteres Lichtplanungsprojekt ist die Beleuchtung der Shoppingmall des Fraport, die die Atmosphäre von Fluss bzw. Waldlandschaft erzeugen soll. Der „Nachbau“ natürlicher Lichteffekte in Kunstlicht hat mit echter Naturliebe oder gar Naturschutz nichts zu tun – eine technische Spielerei, über deren tieferen Sinn die Aussage, Fraport verdiene das meiste Geld nicht am Fliegen, sondern an den Shops, schon eher Auskunft bietet. Einem naturfeindlichen Konzern mit einer Naturimitation zu einem besseren Image und Profiten verhelfen: Auch ohne den Hintergrund der Startbahn West Proteste ist das an Zynismus kaum zu überbieten. Der im Vortrag zitierte Hersteller-Slogan „Largest producer of light after sun“ erinnert in seiner Überhöhung menschengemachter Technik jedenfalls fatal an die Hybris eines Victor Frankenstein und passt besser in die ideologischen Vorstellungswelten des 19. als des 21. Jahrhunderts.
Bauen für Dikaturen, Großkonzerne und Eliten ist Teil des Problems
Nichts zeigt die Prioritäten des Büros L-A-V-A besser auf, als die Reaktion auf die Frage nach der Arbeit für Auftraggeber aus autokratischen Systemen. So soll die deutsche Kanzlerin Chris Bosse zufolge Menschenrechte bei ihren Besuchen in China nicht etwa nur alibihaft beiläufig erwähnt, sondern gar in den Mittelpunkt der Gespräche gestellt haben – mir war ein so leidenschaftliches Engagement Frau Merkels bisher völlig entgangen. Guten Geschäftsbeziehungen die Priorität vor der Einhaltung von Menschenrechten zu geben ist aber in jedem Fall weder visionär noch fortschrittlich.