So laut das Gejaule, so taub der „unpolitische“ Bürger: Nichts mitgekriegt haben zu wollen wird immer schwerer.
Bildrechte: Sandra Pappe, www.sandrapappe.de
Im Mai 2019 veröffentlichte die Zeitschrift ARCH+ eine Sonderausgabe „RECHTE RÄUME, Bericht einer Europareise“, die die Beobachtungen einer fachwissenschaftlichen Exkursion im November 2018 entlang der Achse Rom-Berlin dokumentiert. Die Publikation löste einen medialen und öffentlichen Shitstorm aus, der die dokumentierten Fakten auf erschreckende Weise bestätigt. Davon konnten sich Besucher*innen des Symposions zum Sonderheft im Rahmen des Mousonturm-Festivals „Unfuck my future“ am 9. September selbst ein Bild machen.
Zur Veranstaltung hatten sich einige Vertreter der lokalpolitischen rechten Szene eingefunden, darunter Wolfgang Hübner, die den irritierten Besucher*innen am Saaleingang gegen den Architekten Stephan Trüby gerichtete Pamphlete in die Hände drückten. Die Mehrheit des Publikums ließ sich jedoch zunächst nicht vom spannenden Vortrag ablenken.
Kultorte der rechten Szene
So konnte Stephan Trüby gleich zu Anfang klarstellen, dass es nicht um eine spezifisch rechte Architektur ginge – die gäbe es im akademischen Sinne gar nicht. Es gäbe nur rechte Architekten. Rechte Räume entstünden weniger aus der Form als aus dem Kontext, der Symbolik, mit der die Architektur aufgeladen werde. Beispielhaft dazu berichteten die anwesenden Autoren unter anderem von den Geburtshäusern und Mausoleen faschistischer Diktatoren, die als Pilgerstätten der rechten Szene fungieren. So leidet die Einwohnerschaft der Kleinstadt Predappio, des Geburtsorts Mussolinis, seit 60 Jahren unter dem Ansturm Tausender Neofaschist*innen. Während das gigantische Mausoleum Francos von vorneherein als klerikalfaschistischer Kultort erbaut wurde, werden andere Orte erst im Nachhinein rechts konnotiert.
Besonders problematisch ist die nachträgliche Annektion von Architekturräumen, die bereits eine anders geartete, historisch gewachsene Symbolkraft haben – Altstadtviertel beispielsweise, die als Bestandteil der lokalen Identität wahrgenommen werden. Beim Wiederaufbau zerstörter Architektur kann so auch etwas „wiederhergestellt“ werden, das es so nie gab. Er sei nicht generell gegen Rekonstruktionen, betonte Stephan Trüby. Es gehe vielmehr darum, mit der Rekonstruktion nicht die Geschichte des Ortes zu verfälschen. Als Beispiel nannte er unter anderem die Ostzeile am Frankfurter Römer mit zum Teil frei erfundenen Fantasiefassaden und den Drang, architektonische Zeitzeugen der Moderne im Sinne einer der neuen rechten Szene genehmeren Geschichte nach und nach aus dem Stadtbild zu löschen.
Internationaler Stil von vorvorgestern
Dass die als Gegenmodell zur „internationalistischen“ Moderne, die „überall stehen könne“, propagierte „heimatverbundene“ Architektur der neuen und alten Rechten weder individuell noch regional eigenständig ist, belegte ein weiteres Beispiel aus Freiburg. Josef Schlippe, während und nahtlos nach der NS-Diktatur Stadtbaumeister in Freiburg, ersetzte beim „historisch getreuen“ Wiederaufbau der kriegszerstörten Kaiser-Josef-Straße das historische, vielfältige Straßenbild durch einen schon in der NS-Zeit beliebten „mittelalterlich“ anmutenden Einheitsstil. Dem entsprechen auch die von Bern abgeschauten „Arkaden“, die es in Freiburg nie gegeben hatte. Das gesichtslose Gebäude, in dem sich heute die Drogerie Müller befindet und für das ein von Schlippe für seine reichdekorierte Fassade geschmähtes Jugendstilkaufhaus, einstmals in jüdischem Besitz, weichen musste, steht exemplarisch für das Geschmacksideal derer, die gerne mit ihrer „Heimatliebe“ hausieren gehen: Lochfassade, Satteldach und eventuell für die „Individualität“ noch ein paar Dekoelemente vor die Fassade geklebt – es müssen gar nicht die der Region sein. Der „heimatverbundene“ ist eben auch nur ein international gleichförmiger Stil, der überall stehen könnte – nur der von vorvorgestern.
Dem Image der nationalen Eigenständigkeit steht auch die in der Publikation aufgezeigte dichte Vernetzung der neuen Rechten über die einzelnen Nationalitäten hinweg sowie die Austauschbarkeit der Programme entgegen. Worum es der „nationalen“ Szene wirklich geht, zeigte der letzte Beitrag des Symposiums auf, in dem Anna Yeboah über die geschichtsrevisionistische Signalwirkung der Rekonstruktionen der Potsdamer Garnisonskirche und des Berliner Stadtschlosses berichtete. Der Wunsch nach einer Wiederkehr der feudalen Klassengesellschaft, in der eine kleine Elite alle anderen ungestraft ausbeuten darf, eint die Nationalisten der westlichen Welt. Wie umgehend bestätigt durch die Reaktion aus der Ecke der Trüby-Gegner, die Frau Yeboahs Hinweis auf rassistisch motivierte Morde mit abfälligem Gestöhne und die Bilder von aufmarschierenden Militariafans mit Beifallsbekundungen begleiteten.
Getroffener Hund bellt
In der anschließenden Podiumsdiskussion versuchten die Störer aggressiv pöbelnd Stimmung gegen den Veranstalter zu machen. Um größer zu wirken, hatte sich die kleine Gruppe im Saal weit auseinander gesetzt und gleich zu Anfang direkt hintereinander das Publikumsmikrofon eingefordert. Nur mit Mühe gelang es dem Saalpersonal, die nicht enden wollenden Hetz- und Hasstiraden einzudämmen und das Mikrofon an das eigentliche Publikum weiterzureichen. Mehrere Zuschauer distanzierten sich umgehend von den Vorrednern.
Das laute Bellen des getroffenen Hundes belegt, wie sehr ARCH+ mit seiner Sonderausgabe ins Schwarze getroffen hat. Auch wenn die neue rechte Szene Frankfurts ihre laut vorgetragene „Empörung“ darüber, in das rechte Spektrum eingeordnet worden zu sein, durch ihren Auftritt beim Symposion ad absurdum geführt hat, ist es mittlerweile nicht mehr selbstverständlich, dass diese Selbstentlarvung auch als solche erkannt wird. Die politische Wahrnehmung hat sich bereits verschoben. Vielen ist schon jetzt nicht mehr klar, dass eine Diktatur des Massengeschmacks genauso wenig mit Demokratie zu tun hat, wie Hetzreden nicht unter die Meinungsfreiheit fallen: Volksverhetzung ist eine Straftat. Schon in den 1920er Jahren wollte gerade die extreme Rechte vor allem vor der Machtübernahme nicht als „rechts“ eingestuft werden. Um Wahlen zu gewinnen, braucht man den Anschein der bürgerlichen Normalität. Der neuen Rechten zu erlauben, sich öffentlich als eine „ein bisschen konservativere“ Mitte zu maskieren, ist politisch naiv. „Unrecht ist, wer unrecht tut“, sagt Forrest Gump im gleichnamigen Film. Wichtig ist nicht, wie sich eine Gruppierung selbst bezeichnen möchte, sondern wie sie agiert.
Das Sonderheft der Arch+ ist mittlerweile vergriffen, wird aber neu aufgelegt. Ein Exemplar reservieren kann man unter dieser Mail.