Investorenarchitektur: Bauen gegen Klima und Menschenrecht
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Der Vortrag „Planen, Bauen, Gestalten: bezahlbarer Wohnraum für alle!“ im Programm der Tage der Industriekultur Rhein-Main war eine der – leider viel zu wenigen – Veranstaltungen, die den Innovationsgeist des „Neuen Bauens“ in Bezug zu aktuellen Problemstellungen der Baupolitik setzte. Prof. Dr. Klaus Struve brachte Fehlentwicklungen und Lösungsansätze in einer Klarheit auf den Punkt, die im Diskurs zur Zeit leider selten ist.
Bauen für das große Geld und gegen das Klima
Auch wenn das Thema Klimakatastrophe im Vortrag zunächst nicht direkt angesprochen wurde, erschloss sich der Zusammenhang von einer auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaft und klimafeindlichem Bauen unmittelbar. Ein Beispiel: die mit fehlendem bezahlbaren Wohnraum direkt einhergehende Klimabelastung durch erhöhten Pendlerverkehr. Die von Prof. Dr. Struve vorgelegten Zahlen sprechen für sich: In Frankfurt hätten mittlerweile gut zwei Drittel der Bevölkerung Anspruch auf einen Wohngeldzuschuss. Das bedeutet zwangsläufig, dass die Berufsgruppen, die eine Stadt zum Funktionieren braucht – Pflegekräfte, Krankenschwestern, Sicherheitspersonal, Lehrer, Kindergärtner, Reinigungspersonal etc. – es sich nicht leisten können, in Frankfurt zu wohnen und aus immer weiterer Entfernung mit wachsender Klimabelastung in die Stadt pendeln müssen.
Spekulationsimmobilien rechtfertigen keine Ökoschäden
Die als Allheilmittel gegen die Wohnungsnot nicht nur von der Stadt Frankfurt propagierte „Verdichtung“ ist ebenso klimaschädlich; Vor allem schafft diese Maßnahme nur in verschwindend geringem Ausmaß bezahlbaren Wohnraum. Der überwiegende Anteil der z.B. in Frankfurt aktuellen Neubauprojekte sind Investorenimmobilien, die der Geldanlage dienen. Dafür dürfte in einer klimagerechten Stadtplanung kein einziger Quadratmeter verschwendet werden.
„Die großen Investoren fahren mit uns Schlitten“
Der von Prof. Dr. Struve präsentierte Vergleich der von Ernst May, Otto Haesler und anderen Architekten des „Neuen Bauens“ verfolgten Baupolitik mit der heutigen Praxis lässt die aktuelle Baubranche alt aussehen. Wo die Architekten der modernen Avantgarde versuchten, die Bedürfnisse der Bewohner zu erforschen, Bauberatung anboten und mit großen Expertenteams arbeiteten, sparen sich Politik und Bauwirtschaft heute die Mühe. Der Fokus hat sich vom Wohl der Bevölkerung auf die Profitinteressen privater Wohnungskonzerne verlagert.
Anschaulich zeigte Prof. Dr. Struve auf, wie sich die Politik mit der Zerstörung gemeinnütziger Wohnbaugesellschaften und der schrittweisen Aufgabe staatlicher Regulierung vom Bestimmer zum Bettler gemacht habe. Großinvestoren um Zugeständnisse zu bitten, sei Zeitverschwendung. „Die großen Investoren fahren mit uns Schlitten“.
Radikaler Wandel: Was wir vom Bauhaus lernen können
Die wichtigste Botschaft der Veranstaltung war aber Klaus Struves Replik auf den Einwurf eines Zuhörers, der von der Behinderung durch rückständige Baubehörden berichtete: „Dann müssen Sie kämpfen!“ lautete seine energische Aufforderung. So, wie es die Architekten des „Neuen Bauens“ getan haben. Daran können wir uns im Jubiläumsjahr des Bauhauses ein Beispiel nehmen: Dem Mut, der Willenskraft und der Radikalität, die es braucht, um ein etabliertes, disfunktionales System zu überwinden.
Wie würden Ernst May oder Otto Häsler wohl auf die Anforderungen der Klimakatastrophe reagieren, wenn sie heute lebten? Sicherlich nicht mit einer Babyschrittchenpolitik der zögerlichen Kompromisse, die immer noch suggeriert, es handele sich bei der Klimakatastrophe um eine vorübergehende Krise.