Screenshot virtuelle Messe
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Schon lange war eine Baumesse nicht mehr so politisch wie die erstmals virtuell veranstaltete Heinze ArchitekTOUR 2020. Vor allem bei den Architektenvorträgen gehörten Klimakatastrophe, Coronapandemie und gesellschaftspolitische Konflikte zu den Leitthemen. Tobias Wulf von Wulf Architekten sprach von einem anstehenden Paradigmenwechsel.
Die Notwendigkeit zur Veränderung wurde von keinem der Vortragenden mehr offen in Frage gestellt. Erfreulich viele Teilnehmer*innen erklärten nachhaltige und sozial verträgliche Architektur zum Leitbild und zeigten auch im Auftritt eine Abkehr von neoliberalem Statusdenken und Persönlichkeitsvermarktung. Nur wenige schienen Klimakatastrophe und Pandemie noch für vorübergehende Krisen zu halten und nutzen Begrifflichkeiten wie Cradle-to-Cradle als trendgerechte Aufhänger für konventionelle Projektpräsentationen. Dabei standen auf Buzz-Words reduzierte Bekenntnisse zur „Zukunftsträchtigkeit“ des eigenen Unternehmens stellenweise in deutlichem Kontrast zu den vorgestellten Projekten.
Eher konventionell präsentierten sich die Hersteller. Produkte, die der in den Architektenbeiträgen mehrfach angesprochenen Kreislaufwirtschaft entsprechen, waren deutlich in der Minderzahl. Hier ist noch Luft nach oben, etwa für die Vorstellung von Plattformen für Urban Mining oder innovativen Produktentwicklern wie zum Beispiel Betonelementen aus Wüstensand.
Urbane Verdichtung war eines der großen Themen auf der virtuellen Messe. Nicht alle Vortragenden schienen unter dem Terminus dasselbe zu verstehen, wie die Bandbreite der Lösungsansätze demonstrierte. Auch die Erweiterung und Veränderung des Berufsbilds und der Eigenwahrnehmung der Architektenschaft beschäftigte viele Redner*innen. Das Rollenbild des „unpolitischen“ Architekten, der als reiner Dienstleister widerspruchslos die Vorgaben von Bauherren und politische Instanzen erfüllt, verliert allmählich an Akzeptanz.
Ein Zusammenschluss mit progressiven Aktivist*innen, wie ihn weite Teile der Wissenschaft in ihrer Annäherung an FFF oder Extinction Rebellion bereits vollzogen haben, zeichnete sich zwar noch nicht ab. Die mit dem Berufsbild des Architekten einhergehende gesellschaftspolitische Verantwortung kam aber in mehreren Vorträgen zur Sprache. So verwies Ulrich Aspetsberger vom Wiener Büro Caramel Architekten auf die österreichische Initiative fairplanning, der Berliner Architekt und Kolumnist Eike Becker trug einen Appell an den eigenen Berufsstand vor, sich politisch stärker zu engagieren. Vielleicht werden ja auf der nächsten Messe auch Architekten-Aktivist*innen von Gruppierungen wie den artists4future vertreten sein.
Das große Publikumsinteresse gerade bei Beiträgen, die Lösungen für eine sozialverträglichere Architektur suchten, bestätigt die Sehnsucht nach einer Neuausrichtung der Branche. Einige der Vorträge wurden von über 400 Besucher*innen verfolgt. Insgesamt zählten die Betreiber 5.000 Besucher*innen und 19.000 Teilnehmende. Neben der im Vergleich mit anderen durch die Pandemie verstärkt angebotenen Onlineveranstaltungen herausragenden technischen Umsetzung ist dies sicher auch der Moderation von Klaus Fuener zu verdanken, dessen fundierte und kritischen Fragen über eine bloße Anmoderation im positiven Sinn herausgingen.
Heinze ArchitekTOUR 2020 Mediathek
Teil 2 Heinze ArchitekTOUR 2020: Verdichtung und Zersiedlung
Teil 3 Heinze ArchitekTOUR 2020: Visionen von der Stadt der Zukunft