In „Rechte Räume“ fasst Prof. Stephan Trüby mehrere seiner seit 2016 veröffentlichten Essays, Gespräche und Interviews zusammen und erweitert sie zu einer aktuellen Bestandsaufnahme. Trübys tiefgreifende Analyse einer Architekturpolitik, von der die extreme Rechte profitiert, ist hochaktuell. Seine Grundlagenforschung zu rechten Einflüssen auf Politik und Gesellschaft macht „Rechte Räume“ auch für ein breiteres Publikum lesenswert, das nicht Architektur-affin ist.
In Kommentaren und Interviews geht Trüby auf die aggressiven Medienangriffe ein, die seine Publikationen zu rechts konnotierter Architektur begleiten. Interessanter als die vorgeblichen Anwürfe gegen den Autor, die die extremen Reaktionen bis hin zu Morddrohungen nicht erklären, ist der sich angesprochen fühlende Personenkreis selbst. Wessen Interessen werden berührt, womit trifft Trüby so ins Schwarze? Indem die bequeme These von der „unpolitischen Architektur“ in Frage stellt? Mit den begründeten Zweifeln an der Extremismustheorie und der darin verankerten Vorstellung von einer „besonnenen Mitte der Gesellschaft“? Oder mit der Kernfrage, inwieweit sich die bürgerliche Gesellschaft über scheinbar harmlos geschmäcklerische Architekturdispute zur unfreiwilligen Helferin einer rechtsextremistischen Agenda machen lässt?
International vernetzte Rechte
Wie treffsicher der Autor die rechte Szene einschätzt, bestätigt sich in der Entwicklung der politischen Lage seit Erscheinen des Buchs. Etwa in Amerika: Trübys Analyse der amerikanischen Rechten im Kapitel „Aufklärung der Dialektik. Über rechte Räume in den USA“1 greift tiefer als die Thesen Adornos oder Allbrights und liefert eine schlüssige Erklärung für eine Entwicklung, in der der Sturm auf das Kapitol keineswegs als überraschende Entgleisung sondern vielmehr als vorhersehbare Folge erscheint. Trumps Ankündigung einer Verordnung namens „Making Federal Buildings Beautiful Again“, auf die Trüby verweist, wurde weitgehend als eine von vielen bewusst wirrköpfigen Provokationen des Ex-Präsidenten unterschätzt. Sie erscheint in anderem Licht, wenn sie mit den in „Rechte Räume“ beschriebenen Forderungen zur Festschreibung von Gestaltungsvorgaben im europäischen Raum in Bezug gesetzt wird. Die von Trump anvisierte Vorgabe des „klassischen Stils“, der „ … in den USA für Europa-stämmige Kolonisation steht ….“2 macht Architektur ebenso zum Symbol und Werkzeug politischer Agenden wie die Vereinnahmung lokaler Bautraditionen und historischer Städte durch Rechtsextreme.
Rekonstruktionsarchitektur, ein Schlüsselmedium der Rechten
Prof. Trübys 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlichter Artikel „Wir haben das Haus am rechten Fleck“, in dem er u. a. daran erinnerte, dass die Initiative der Rekonstruktion der Altstadt von einem rechtsradikalen Bündnis ausging (welches dieses bis heute medienwirksam für sich ausschlachtet), stellte das vom Frankfurter Stadtmarketing mühevoll konstruierte Narrativ vom wieder an die Bürger zurückgegebenen „Herz Frankfurts“ in Frage. Im Kapitel „Die Einstecktuchisierung verrohter Bürgerlichkeit …“3 seziert Trüby die politischen Hintergründe um Frankfurts „Neue Altstadt“ sowie die in Frankfurt besonders aktiven Rekonstruktionsinitiativen und geht auf den Mediendiskurs um seinen Artikel ein.
„Schöne neue Welten“ – „Schöne neue Stadträume“. Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst
Unter den damaligen Kritiker*innen, die zum Teil mit frei erfundenen „Zitaten“ vom tatsächlichen Inhalt des Artikels abzulenken versuchten, fanden sich auch mehrere Beiratsmitglieder des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst, das sich für das DomRömer-Projekt stark gemacht hatte. Worum es dem Institut dabei geht, beleuchtet Trüby im Kapitel „In Verlautbarungsgewittern. Kritik des deutschen Instituts der Stadtbaukunst“.4 Wie der eingangs zitierte amerikanische Ex-Präsident sorgt sich auch das von Christoph Mäckler gegründete Deutsche Institut für Stadtbaukunst um architektonische „Schönheit“. Die 2020 veröffentlichte Düsseldorfer Erklärung, die „zeitnah“ dem Bundesministerium des Innern, für Bau und für Heimat übergeben werden soll, sieht nicht nur eine Änderung der städtebaulichen Gesetzgebung vor, die Kritiker*innen als „Deregulierung“ im Sinne einer „… rein renditeorientierten Stadtentwicklung …“ wahrnehmen. Die Zielvorgabe von „schönen Stadträumen“ will ästhetische Vorgaben einführen, die nach der NS-Diktatur aus guten Grund bisher nicht gesetzlich vorgesehen waren und eine „systematische Gängelung experimenteller und progressiver Architekturpositionen“ befürchten lassen. Wer hat die Deutungshoheit, was als „schön“ oder „nicht schön“ zu gelten hat, bzw. wer wird sich dies in Zukunft anmaßen?
„… Noch nie seit 1945 war die Architektur-Reaktion in Deutschland so professionell organisiert …“5
resümiert Trüby und verweist u. a. auf Barbara Ettinger-Brinckmann, bis Mai 2021 Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, die die Erklärung mitunterzeichnet hat und im wissenschaftlichen Beirat des Instituts sitzt. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die Vergabe des neuen Frankfurter Stadtquartiers „Am Römerhof“ an das Deutsche Institut für Stadtbaukunst in Umgehung des üblichen Wettbewerbsverfahrens zu bewerten. Auch Frankfurts Planungsdezernent Mike Josef, auf den „… die Direktvergabe zurückzuführen …“ sei, ist Beiratsmitglied des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst. Bezeichnenderweise hielten sich die entsprechenden Berufsorganisationen laut Trüby trotz der Empörung in Architektenkreisen mit Kritik an der Direktvergabe zurück – „lediglich die Frankfurter Gruppe des Bundes Deutscher Architekten“ habe offiziell Protest eingelegt.
„Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet“
Detailliert beleuchtet Trüby Hintergründe politischer Entwicklungen und Projekte. Dabei benennt er wichtige Protagonist*innen und zeigt Verflechtungen, Netzwerke und gemeinsame Interessen auf. So etwa zwischen Investorenarchitektur und Rechtsextremismus. In „Neoliberalisierungsarchitekturen“ reichen sich Rechtsextreme, die der feudalistischen Klassengesellschaft vordemokratischer Zeiten nachtrauern, und eine skrupellos am Profit orientierte Immobilienwirtschaft die Hand. Patrick Schumacher, Chef von Zaha Hadid Architects und selbsterklärter libertärer Sympathisant des Anarcho-Kapitalismus, engagiert sich nicht nur dafür, den Architekturstil des Parametrismus zu etablieren. Auf dem World Architecture Festival 2016 in Berlin habe er u. a. für eine Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus und die Privatisierung öffentlicher Plätze plädiert; Im April 2020 habe er sich mit Markus Krall solidarisiert, der sich dafür einsetzt, Sozialhilfe- und Bafög-Empfänger*innen das Wahlrecht zu entziehen.6 Auf das aktuelle kulturelle Phänomen, nachdem ein „ … hoher Anteil von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen unter Immobilienunternehmer*innen, -makler*innen und -verwalter*innen zu vermerken“ sei, hatte Trüby bereits einige Seiten zuvor verwiesen.7 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das im Anhang angefügte Gespräch mit Leon Kahane und Fabian Bechtle vom Forum DCCA (Democratic Culture and Contemporary Art) „Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet“8, das 2019 in Reaktion auf die Debatte um seinen Artikel über die neue Altstadt Frankfurts erfolgte.
Vergangenheit „neu erfinden“: Die gefährliche Sehnsucht nach „Pseudostabilität“
Architektur, die „angeblich ‚langsamste’ aller Künste“ solle man als „Frühwarnsystem“ betrachten, konstatiert Trüby. Seine Befürchtung, in Deutschland gehe es darum, „das Projekt einer besseren Zukunft zugunsten einer besseren Vergangenheit aufzugeben“,9 lenkt den Blick auf die größte Gefahr, die von reaktionärem Moderne-Bashing und dem Diskurs um populistische Geschmacksvorgaben ausgeht: Die Ablenkung von den wichtigen Fragestellungen, mit denen sich Architekten tatsächlich dringend auseinandersetzen müssten. Zur Bewältigung von Klimakatastrophe, Wohnungsnot oder dem sozialen Auseinanderdriften der Gesellschaft braucht es den Innovationsgeist, der die Intimfeindin der Reaktion, die Moderne, auszeichnete. „Mit einem Universalismus-befreiten Partikularismus … ist keine emanzipatorische Gesellschaft zu haben; ebensowenig eine progressive Architektur … für eine wenigstens minimal verbesserte Welt …“ schreibt Trüby dazu.10
Weckruf mit Tiefgang
„Rechte Räume“ bietet einen umfassenden Überblick über rechte Einflüsse in Politik und Kultur. Die politische Dimension der Architektur wird durch die anschaulichen Analysen auch für Laien gut verständlich vermittelt. So ist nicht nur ein wichtiges Standardwerk zu rechter Architekturpolitik entstanden. Vor allem ist „Rechte Räume“ ein Weckruf, Rechte und die von Ihnen ausgehende Gefahr nicht weiter zu unterschätzen. Denn eins ist klar: Die Politik der selbsternannten „Unpolitischen“ ist rechte Politik.
Textverweise zu
„Rechte Räume“, Stephan Trüby, erschienen im Birkhäuser Verlag, 2020, ISBN 978-3-0356-2240-9
1 Kapitel „Aufklärung der Dialektik. Über rechte Räume in den USA“, Seite 191ff
2 Kapitel „Aufklärung der Dialektik. Über rechte Räume in den USA“, Seite 221
3 Kapitel „Die Einstecktuchisierung verrohter Bürgerlichkeit. Über die Neue Frankfurter Altstadt als politische Initiative von Rechtsradikalen“, Seite 137ff
4 Kapitel „In Verlautbarungsgewittern. Kritik des deutschen Instituts der Stadtbaukunst“, Seite 151ff
5 Kapitel „In Verlautbarungsgewittern. Kritik des deutschen Instituts der Stadtbaukunst“, Seite 163
6 Kapitel „Architekturen des durchdrehenden Neoliberalismus“, Seiten 185 – 187
7 Kapitel „Architekturen des durchdrehenden Neoliberalismus“, Seite 174
8 Anhang „Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet“, Seite 265 ff
9 Anhang „Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet“, Seite 267
10 Kapitel „‚Very fine people on both sides?’ Moderne, Architektur und Architektur-histografie (im Bauhaus-Jubiläumsjahr)“, Seite 226