GG Artikel 14,3: Ist die Privatisierung öffentlichen Eigentums nicht auch eine Enteignung?

Schreckgespenst „Enteignung“: Die Krokodilstränen fließen
Bildrechte: Sandra Pappe, www.sandrapappe.de

Der Diskurs um die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes war ein Thema von vielen auf der Veranstaltung „70 Jahre Grundgesetz. ‚Ungleichheit und Verfassung‘ Dr. Cara Röhner, Lesung und Gespräch“, mit der in der Stadtbibliothek Frankfurt der 70. Jahrestag der Verfassung begangen wurde. Im Rahmen der Kampagne „Die Vielen“ hatten die BücherFrauen der Region Frankfurt in Kooperation mit der Stadtbibliothek die Politik- und Rechtswissenschaftlerin Dr. Cara Röhner eingeladen, aus ihrer Dissertation zur Rechtsauslegung des Gleichheitsgrundsatzes zu lesen.

Schon in der ersten Gesprächsrunde zeigte sich, wie sehr der aktuelle Diskurs um Recht auf Eigentum einerseits, Wahrung der sozialen Gerechtigkeit andererseits die Gemüter bewegt. Normalerweise gibt es bei einer Lesung wissenschaftlicher Dissertationen kaum Fragen aus dem Publikum, wenn es, wie in diesem Fall, überwiegend aus fachlichen Laien besteht. Dieses Mal konnten es einige Gäste der Lesung kaum abwarten, endlich zu Wort zu kommen.

Um gleich zu Beginn eine interessante Fragestellung aufzuwerfen. So brachte eine Zuhörerin ihre Empörung zum Ausdruck, dass der Steuerzahler für die Rettung in Schwierigkeiten geratener, privatrechtlicher Großkonzerne zur Kasse gebeten werde, gleichzeitig aber öffentliches Eigentum, wie z.B. Abschnitte der Autobahnen, privatisiert werde. Werde da nicht mit zweierlei Maß gemessen, Stichwort Ungleichheit?

Kurz davor hatten wir u.a. GG Artikel 14,3 gehört:

„(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. … Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen …“

In Bezug dazu fallen mir gleich noch einige Fragen mehr ein:

Wenn das Volk der Souverän ist, kann ihm das öffentliche, also sein Eigentum, durch eine Privatisierung einfach so genommen werden? Ist das keine Enteignung? Und worin besteht die ihm dann zustehende Entschädigung? Ist das der Kaufertrag und wenn ja, wer bekommt den Erlös, wofür wird er verwendet und ist seine Höhe angemessen?

Und warum kennen so viele Politiker etablierter Parteien den Unterschied zwischen Enteignung und Vergesellschaftung nicht (oder tun so als ob)? Warum wird nicht öffentlich laut gelacht, wenn Großverdiener der Immobilienwirtschaft Krokodilstränen über die „Neidgesellschaft“ vergießen, die ihnen ihren durch Verstöße gegen die Grundrechte ihrer Mieter ergaunerten Profite nicht gönnt?

Womit wir bei der Frage wären, was Enteignung denn eigentlich wirklich bedeutet. Der private Eigenheimbesitzer, der sein Haus verliert, weil er sich z.B. die ihm als Anleger aufgezwungenen Stadtverschönungsmaßnahmen nicht leisten kann oder der Mieter, der wegen Zahlungsschwierigkeiten zwangsgeräumt wird, haben im Grunde doch dasselbe Problem: Sie werden von anderen um ihr Zuhause gebracht (enteignet). Auch wenn der Mieter seine Wohnung nicht besitzt, ist der Verlust seines Zuhauses einem existentiellen Besitzverlust gleichzusetzen.

Dagegen nimmt sich die von den Wohnungsgesellschaften herbeigeredete „Bedrohung“ durch den Vergesellschaftungsartikel im GG doch vergleichsweise unbedeutend aus: Weder geht es um den existenziellen Verlust des eigenen Heims, noch um einen finanziellen Bankrott, da ja eine Entschädigigung gezahlt wird. Da das Gesetz ohnehin nur die schwarzen Schafe treffen soll, die sich eklatant über Grundrechte und das Allgemeinwohl hinwegsetzen, hätten angemessen wirtschaftende Wohngesellschaften nichts zu befürchten. Die Hysterie über Artikel 14 und 15 weckt allerdings den Verdacht, dass diese in der Minderzahl sind.

Weiterführende Links:

Bericht zur Veranstaltung „70 Jahre Grundgesetz. ‚Ungleichheit und Verfassung‘ Dr. Cara Röhner, Lesung und Gespräch“

Beitrag zum Projekt

 

 

 

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