Ölhaut
Bildrechte: Sandra Pappe, www.sandrapappe.de
Auch nach Jahrzehnten von Forschung und Entwicklung in Passivhaus- und Nullenergiehaustechnik orientieren sich die gesetzlichen Vorgaben zu einer effizienten Gebäudetemperierung an längst überholten Standards. Zeitgemäßen Berechnungsmethoden und Bewertungskriterien steht unter anderem die von staatlicher Seite begünstigte Marktdominanz der konventionellen Industriedämmstoffe entgegen.
Die Frage ist nicht, ob Heizenergieverluste minimiert werden sollten oder nicht. Es geht um das Wie. Um einen sachlichen Diskurs zu ermöglichen, hat die Deutsche Umwelthilfe eine Informationsbroschüre herausgegeben, die auf verbreitete Vorbehalte gegen Dämmmaßnahmen eingeht und versucht, auch für Laien verständliche Antworten zu geben.
Schäden entstehen durch schlechte Ausführung und falsche Materialwahl
Die Kernaussage der Broschüre: Wenn die Dämmsanierung sachgemäß ausgeführt, regelmäßig gewartet und kontrolliert wird, fallen keine Bauschäden an und die dafür entstandenen Kosten amortisieren sich langfristig. Das ist eine beruhigende Nachricht für Eigenheimbesitzer*innen, die die Sanierung ihres Häuschens überwachen und mitgestalten können. Für die weniger privilegierte Masse der Bevölkerung, vor allem die Mieter, sieht die Situation schon anders aus.
In der auf schnellen Profit ausgerichteten Immobilienbranche ist die Einhaltung der von der DUH aufgeführten Rahmenbedingungen keine Selbstverständlichkeit. Zahlreiche Berichte über Pfusch, fehlende Kontrollen und rechtswidrige Beschäftigungsverhältnisse in der Baubranche tragen nicht zum Vertrauen bei. Für die Opfer von fehlerhaften oder unnötigen Sanierungen ist es kein Trost, dass bei regelkonformem Bauen kein Schaden entstanden wäre. Vor allem dann nicht, wenn sie mit den Rechtsfolgen allein gelassen werden.
Eine von oben verordnete Sanierungswelle, die Bestand zerstört, richtet für das Klima mehr Schaden an, als durch die Heizenergieeinsparung hereingeholt werden kann.
Die flächendeckende Verpflichtung zur energetischen Sanierung muss deshalb zwingend von regulierenden Maßnahmen begleitet werden, die eine kontraproduktive Anwendung unterbinden. Dazu gehört auch eine Reformierung der Dämmstoffbranche.
Marktbenachteiligung von alternativen Dämmstoffen ausgleichen
Nach einem Informationsblatt zum 2016 – 2019 durchgeführten Projekt „Stärkung nachwachsender Rohstoffe im Dämmstoffmarkt“ (StaR-Dämm) beträgt der Marktanteil von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen (NawaRo) am Dämmstoffmarkt gerade einmal sieben Prozent. Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen seien als Alternative zu konventionellen Materialien „weitgehend unbekannt“.
Auch rein aus recycelten Stoffen hergestellte Produkte spielen gegenüber den konventionellen Industriedämmstoffen (noch) eine geringfügige Rolle. Dabei mangelt es nicht an innovativen Produktentwicklungen. So hat das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF erst vor Kurzem den biobasierten Fassadendämmstoff „OrganoPor“ entwickelt, der ähnliche Materialeigenschaften wie Polystyrolschaum (EPS) aufweisen soll und dieses ersetzen könnte.
Auch hierzu hat die DUH eine Broschüre herausgegeben, die zur Versachlichung der von polemischen Marketingphrasen der marktführenden Industriedämmstoffherstellern geprägten Debatte beitragen soll. So beruht der höhere Preis alternativer Dämmstoffe, der als Hauptargument gegen deren Einsatz aufgeführt wird, laut DUH auf ihrer „bisher geringen Marktdurchdringung“. Die Ursache ist ergo die Folge des Problems.
Ganzheitliche Betrachtungsweise fehlt
Die Marktbenachteiligung alternativer Dämmstoffe geht einher mit einem überholten Denkansatz. Die Umwelthilfe verweist darauf, dass das derzeitige „Fördersystem die für einen treibhausgasneutralen Gebäudebestand notwendige Berücksichtigung der Klimabilanz über den gesamten Lebenszyklus“ nicht berücksichtige. „Graue Energie“ müsse stärker in die energetische Bewertung von Gebäuden einbezogen werden.
Darüber hinaus bemängeln Fachleute seit langem die den Bewertungskriterien für „klimagerechte“ Dämmmaßnahmen zu Grunde liegenden Berechnungsansätze an sich. Eine Effizienzanalyse, die im Übermaß auf das Einbehalten und Abschirmen der Innenwärme abzielt, das Hereinholen und Speichern von Außenwärme aber vernachlässigt, geht an der Realität vorbei.
Im Gegenteil trägt diese überholte Betrachtungsweise zur Entwertung der Begrifflichkeit „Klimaschutz“ bei. Da jedes abschirmende Material Wärmeenergieverlust nach außen bremst, sind nach dieser Logik alle diese Materialien „klimagerecht“. Man könnte sich also genauso gut auch nach einmaligem Tragen verschlissene Polyesterpullover vom Discounter zwischen die Sparren stopfen und KIK oder Primemarkt für ihren „Beitrag zum Klimaschutz“ feiern. Oder man mauert einfach die Fenster zu, dann gelangt auch weniger Wärme nach draußen. Der dadurch erhöhte Bedarf an künstlichem Licht fließt ja nicht in die einseitige Bilanz ein.
Konventionelle Dämmbaustoffe: Marketing statt Innovation
Die Hersteller konventioneller Industriedämmung profitieren von dieser unzeitgemäßen Sichtweise und haben ihr Marketing darauf abgestellt. Laut Herstellerangabe sind alle diese Dämmstoffe klimagerecht, gleichgültig ob es sich um Polystyrol, PU-Schaum oder Aluminium-Verbundfassaden handelt. Die schlechtere Bilanz in Bezug auf die „Graue Energie“ soll durch Recycling ausgeglichen werden.
Recyclingfähigen Kunststoff auf Erdölbasis neu herzustellen, ist allerdings nur dann sinnführend, wenn Alternativen zu solchen Kunststoffen fehlen. Das ist nicht der Fall. Allenfalls sollte bei der Herstellung ausschließlich bereits recyceltes Material zum Einsatz kommen – die Ressource Abfall ist ausreichend vorhanden.
Die Marketingkampagnen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Technologie und Ausrichtung der konventionellen Baustoffindustrie überholt sind.
Fragwürdige Bewertungskriterien: Fallbeispiel HBCD
Die Fragwürdigkeit der Bewertigungskriterien für klimagerechte Dämmmaterialien spiegelt sich auch im Umgang mit dem in Häuserdämmungen verwendeten Flammschutzmittel HBCD, das in Ausnahmefällen immer noch im Einsatz ist. Im Rahmen eines 2017 vorgelegten Referentenentwurfs des Bundesministeriums für Umwelt zur Entsorgung von Abfällen mit peristenten organischen Schadstoffen (POP) sollte dieses als ungefährlich zurückgestuft und damit die Entsorgung HBCD enthaltender Dämmstoffabfälle als „ungefährlicher“ Abfall ermöglicht werden. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme verwiesen die Umweltverbände NABU, DNR, BUND und DUH darauf, dass die Antwort auf einen „kurzfristigen Entsorgungsengpass“ wohl kaum in der Rückstufung der Gefährlichkeit eines weltweit wegen seiner Giftigkeit verbotenen Stoffes liegen könne. Die Verordnung ist dennoch seit 2017 in Kraft, gegen den Protest der Umweltschutzverbände.
Maßnahmen zur Bauwende
Das kürzlich von der Partei die Grünen eingebrachte Grundlagenprogramm zur Bauwende sieht ein Förderprogramm für den Einsatz nachwachsender Baustoffe vor, geht aber noch nicht weit genug. Ziel muss sein, vollständig auf alternative Baustoffe umzusteigen.
Im Rahmen einer zeitlich begrenzten Übergangsphase sollte dazu der Einsatz von konventionellen Industriedämmstoffen auf Mineralölbasis nur noch in den Bereichen zugelassen werden, in denen alternative Baustoffe (noch) nicht die erforderlichen Eigenschaften aufweisen (Besonders hohe Brandschutzklassen).
Bei der Wahl klimagerechter Dämmmaßnahmen dürfen Preisunterschiede, die sich wie schon erwähnt ohnehin in erster Linie aus der Marktverzerrung ergeben, nicht länger das ausschlaggebende Argument sein. Die Marktbenachteiligung von Startups, Handwerksbetrieben und kleineren Firmen, die alternative Baustoffe entwickeln, muss durch Fördermaßnahmen und Subventionen ausgeglichen werden. Es kann nicht angehen, dass der flächendeckende Umstieg auf klimagerechte Baumaterialien durch fehlende Mittel für Marketingmaßnahmen, Lobbyarbeit und das Durchstehen langwieriger Zertifizierungsprozesse oder anderer bürokratischer Hürden ausgebremst wird. Investitionen in die Weiterentwicklung überholter Industriebaustoffe dagegen sind schon in sich eine Ressourcenverschwendung.
„Energetisches Dämmen“: Unvollkommene Maßnahme zum Klimaschutz
Teil 1: Überholtes Regelwerk und privatwirtschaftliche Interessen behindern Innovationen im Klimaschutz
Teil 2: Klimaschäden durch Kompensation: Gebäudeemission reduziert, Verkehrsemission erhöht
Teil 3: Der künstlich erzeugte „Widerspruch“: Klimagerecht und bezahlbar wohnen